Der plötzlich auftretende Bandscheibenvorfall ist vom Mechanismus der Bandscheibendegeneration abzugrenzen, da die Störung hier nicht in der Unterversorgung mit Nährstoffen liegt oder die Endstrecke eines langwierigen degenerativen Prozesses bildet. Der plötzlich auftretende Bandscheibenvorfall kann auch bei jungen Patienten auftreten. Bei sportlichen Aktivitäten oder bei der Verrichtung der Dinge des alltäglichen Lebens kann es zur (un)bemerkten Verletzung des Faserringes kommen, der aber immer wieder durch den Körper „repariert“ wird. Die Schmerzen verschwinden nach einiger Zeit. Führt die Summe der immer wiederkehrenden kleineren Verletzungen und Reparaturen zu einer Schwächung des Ringes, so kann dieser auch bei kleinen Auslösern zum Einriss gebracht werden. Dies merken die Patienten dann in Form eines plötzlich auftretenden Schmerzes. Tritt dann inneres Bandscheibenmaterial durch den Riss des Faserringes hindurch, so sprechen wir von einem Bandscheibenvorfall. Der Bandscheibenvorfall kann günstigenfalls den Reserve-Raum beanspruchen, der zwischen ihm und Nervenstrukturen anatomisch vorhanden ist. Falls er jedoch so gelegen ist, dass das ausgetretene Bandscheibenmaterial einen Nerven berührt oder gar bedrängt, so kommt neben der Schmerzkomponente auch eine Nerven-, Arm- oder Beinschmerzsymptomatik hinzu. Störungen der Beinfunktion in Form von Sensibilitäts- oder Kraftverlust können auftreten. Des Weiteren können im Extremfall die Steuerung der Blasenentleerung oder des Darmverschlussmuskels beeinträchtigt werden.
Rhein-Neckar-Wirbelsäulenzentrum
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Die Bandscheibe besteht aus einem Faserring (Anulus firbosus) und einem Gelee-ähnlichen Kern (Nucleus pulposus). Zusammen befinden sich beide Strukturen zwischen zwei Wirbelkörpern. Die Funktion der Bandscheibe ist die Abfederung und Dämpfung von Stößen auf die Wirbelsäule und die Vermittlung von Bewegungen zwischen der Wirbelkörpern durch Ihren „wasserspeichernden“ Kern. Sie wird durch die angrenzenden Wirbelkörper indirekt ernährt. Gefäße existieren bei Erwachsenen nicht mehr. Kleine Nerven innerhalb des Faserringes leiten Informationen weiter. In der Bandscheibe an sich sind kaum Nervenfasern zu finden.
Die Bandscheibe unterliegt der natürlichen Alterung (Degeneration). Neben einer genetischen Veranlagung für Bandscheibenprobleme tragen weiterer Faktoren wie übermäßige sportliche Belastungen, starker Alkohol- und Nikotinkonsum sowie anlagebedingte Fehlstellungen (Skoliose) zum Verschleiß der Bandscheibe bei. Bandscheibenvorfälle können sowohl in der Halswirbelsäule, der Brustwirbelsäule als auch in der Lendenwirbelsäule vorkommen. Bei Vorfällen in der Halswirbelsäule kommt es zu Nervenschmerzen, die in die Arme ziehen. Im Bereich der Brustwirbelsäule strahlen die Schmerzen horizontal aus. Beinschmerzen sind typisch bei Bandscheibenvorfällen in der Lendenwirbelsäule.
Häufig können Bandscheibenvorfälle konservativ therapiert werden. Dies gilt ebenfalls für seitlich heraustretende Vorfälle, welche Nerven reizen können und in Form von in das Bein ausstrahlende Schmerzen, Sensibilitätseinschränkungen oder Kraftminderung der Muskulatur wahrgenommen werden. Zu den therapeutischen Möglichkeiten zählen die Injektion von schmerzstillenden Medikamenten um den Nerven herum oder in den Rückenmarkkanal hinein, um das akute Schmerzgeschehen zu lindern. Dies geschieht immer unter radiologischer Kontrolle. Parallel hierzu werden schmerzstillende Medikamente eingesetzt, die über die Vene direkt in den Kreislauf – oder in Form von Tabletten/Tropfen gegeben werden, um den Schmerz abzumildern. Nach einer kurzen Phase der Bettruhe erfolgt die Mobilisation mit Hilfe der Krankengymnastik. Sollten sich hierdurch die Beschwerden verbessern, so können die Patienten in die häusliche Umgebung entlassen werden und die Krankengymnastik von zu Hause aus fortsetzen. Weitere therapeutische Maßnahmen bestehen in der Anwendung von Wärme- oder Elektrotherapie. Ziel der langfristigen Therapie ist die Stärkung der Rücken-, Bauch-, und Beckenbodenmuskulatur sowie das rückengerechte Arbeiten und Heben von schweren Gegenständen (Rückenschulung).
Der Nachweis eines Bandscheibenvorfalls ist nicht gleichzusetzen mit einer OP-Notwendigkeit, egal wie groß dieser in der Bildgebung (MRT) erscheinen mag. Ausschlaggebend sind die Lage, Auswirkung und Dauer eines ggf. nervenverdrängenden Vorfalls und die hiermit einhergehende Schmerzsymptomatik. Auch funktionelle Auswirkungen auf die Verrichtung der Dinge des alltäglichen Lebens (langes Sitzen) sind in Betracht zu ziehen. Je nach betroffenem Bereich (Hals/Brust/Lendenwirbelsäule) unterscheiden sich die chirurgischen Maßnahmen und Verfahren. Eines der Gründe liegt in der Position des Rückenmarks.
Allgemein gilt: Sollten die Schmerzsymptome trotz konservativen Behandlungsmaßnahmen (Schmerzmittel/Physiotherapie/Spritzen) innerhalb von 6 Wochen nicht besser werden, sich während dieser Zeit sogar verschlechtern, die Kraftminderung mehr zunehmen, so wird die operative Entfernung (Nukleotomie) durch minimalinvasive, endoskopische Techniken oder offene Techniken vorgeschlagen und durchgeführt.
Sollte der Vorfall so groß sein, dass sich die gesamte Bandscheibe (Massenvorfall) in den Rückenmarkkanal entleert, muss eine fusionierende (versteifende) Operation erwogen werden. Falls die Steuerung der Blasenentleerung oder des Darmverschlussmuskels (Inkontinenz) beeinträchtigt wird, so ist dies ein absoluter Notfall der chirurgisch angegangen werden muss, um die Kontinenz wieder herzustellen. Bei Sensibilitätsstörungen oder leichten Kraftverlusten der Arme oder Beine besteht hingegen keine Notfallsituation und können je nach Ausprägung und Erwartungshaltung des Patienten auch konservativ antherapiert werden. Bei der Operation wird prinzipiell ein schonender Zugang zur Wirbelsäule gewählt und nur das ausgetretene Gewebe (nicht die ganze Bandscheibe) entfernt, so dass der auslösende Reiz nicht mehr vorhanden ist. Die Beweglichkeit der Wirbelsäule bleibt in vollem Umfang erhalten. Durch das Fehlen von Bandscheibenmaterial ist die Wahrscheinlichkeit zur Entwicklung einer Arthrose in den kommenden Jahren jedoch sehr wahrscheinlich.
Im Bereich der Halswirbelsäule kann bei günstiger Lage des Vorfalles dieser vom Nacken herkommend (hinten) unter zur Hilfenahme eines Mikroskops und Fräse (oder endoskopisch) entfernt werden. Der Rest der Bandscheibe bleibt erhalten. Falls der Vorfall jedoch in der Mitte des Rückenmarkes zu finden ist, ist der Weg verstellt. Die Entfernung des Bandscheibenvorfalls geschieht dann vom Hals herkommend. Hierbei muss die gesamte Bandscheibe nebst Vorfall entfernt werden und durch eine Prothese oder Versteifung ersetzt werden.